Germany, Gaildorf (Prague Big Band)

19.3.2010, Schloss, Dürrnitzsaal

Prachtvolle Sound-Architektur

(Südwest Presse)

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Gaildorf.  Der Liederkranz, der sich im Dürrnitzsaal versammelt hatte, wird unterm Geschrei der Bläser gelitten haben. Im Wurmbrandsaal hingegen wuchs die Begeisterung über die "Prague Big Band" von Ton zu Ton.

Bei "Ezop Story" stehen die Zuhörer Kopf. Die schräg daher staksenden Posaunen, die von keckernden Trompeten begleitet werden, bewirken tierische Assoziationen an fabelhafte Bilder aus alten Geschichten. Entspannt grollen dazu die Saxophone, dazwischen donnern Tutti-Schläge, und dann zerdehnen und zerreiben sich die verschiedenen Motive, werden schneller, schrammen unterm gleichmütig tickenden Takt aneinander und kollidieren gar zu garstigsten Dissonanzen ehe sie wieder zueinander finden. Und das Publikum? Ist kaum auf den Stühlen zu halten und spendet begeisterten Szenenapplaus.

Bejubelt werden Virtuosität und konzeptionelle Klarheit. Denn die "Prague Big Band" des Pianisten, Komponisten und Arrangeurs Milan Swoboda, die am vergangenen Freitag vor leider nur etwa 100 Zuhörern im Wumbrandsaal auftrat, wurzelt zwar bei den swingenden Klassikern, bei Basie und Ellington ebenso wie bei dem Prager Jazzpionier Jaroslav Jeek, der häufig zitiert wird, ihre Ableger aber wuchern in die Moderne, in die Neue und die Programmmusik ebenso wie in die Funk- und die Rockecken. Da steht dann Gil Evans Pate, Türöffner und wohl einer der einflussreichsten Musiker des zwanzigsten Jahrhunderts. Swoboda schätzt den 1988 verstorbenen Evans sehr, er hat ihn in den Achtzigern kennen gelernt.

Erwähnen sollte man aber auch, dass Swoboda einst Orgel studiert hat. Denn sein Verhältnis zu den 17 Mannen, die sich auf der Bühne des Wurmbrandsaals drängen, scheint das eines Musikers zu einem Groß-Instrument zu sein. Rechts hat er seine Register aufgebaut, hinten vier Trompeten, dann fünf Posaunen, vorne das Holz, Saxophone und Klarinetten; links drängeln sich Klavier, Bass, Schlagzeug und ein sehr entspannt wirkender Gitarrist.

Sie dürfen fast alle mal von der Leine und erweisen sich als "state oft the art", als große und fähige, bisweilen auch witzige Solisten also, denen man nichts mehr vormachen kann. Ihre wahren Qualitäten aber zeigen sie in ihrem elektrisierend disziplinierten Zusammenspiel. Da fügen sich die Klangfarben der einzelnen Register zu wuchernden Gemälden, die nach dem Satz des Kaffees, ohne den Swoboda morgens nicht ins Leben findet, "Bahno" - Schlamm - heißen; da hechelt die komplette Truppe in bestürzender Synchronizität einem Baritonsaxophon-Solo hinterher oder platziert sich punktgenau in eine verwirrende Schlagfolge, die aus einem noch verwirrenderen Rhythmus resultiert, der möglicherweise auf einem 32-stel-Takt basiert - Mitzählen jedenfalls ist völlig zwecklos.

Zum besseren Verständnis ist es aber auch nicht notwendig. Die Musik der Prague Big Band, durchweg Kompositionen Swobodas, ist stets bis in die feinsten Nuancen transparent. Es gibt keine noch so überraschende Wendung, die nicht aus sich heraus verstehbar wäre - die Schönheit der Musik entwickelt sich aus den Arrangements, aus der Architektur der Töne, die sich zu wahren Prachtbauten fügen, deren Tore für aufmerksame Zuhörer weit geöffnet sind. Und wenn das kein Grund für Kopfstände ist . . .

Südwest Presse